In der Nacht von Montag auf Dienstag (02.30-03.15 Uhr) wiederholt das ZDF eine Reportage aus dem Jahre 1979:
ZitatAlles anzeigenVor 30 Jahren - Südtirol - Abschied vom Paradies?
Zuerst sollte es ein bildschönes Ansichtskartenpanorama werden, 45 Minuten lang, mit phantastischer Bergkulisse, Burgenromantik, Blasmusik und Weinseligkeit zwischen Brenner und Salurn, zwischen Reschenpaß und Pustertal.Aber dann, nach langen und gründlichen Recherchen, musste Gottfried Kirchner betroffen feststellen, wie dieses von Natur verwöhnte Land immer mehr durch den Menschen zerstört wird, wie hier ein Paradies langsam aber sicher in den Ausverkauf gelangt.
Zwar zeigt der Film noch eine überaus reiche Kulturlandschaft - Kulturlandschaft im wahrsten Sinne des Wortes: Wenn dieser häufig strapazierte Begriff heute überhaupt noch eine Berechtigung hat, dann hier in Südtirol, gerade durch die einzigartige Verbindung und das harmonische Zusammenwirken von Landschaft und alter Kultur. So wird man im Film Südtirols verborgene und wenig bekannte Schönheiten bewundern können, abseits der großen Verkehrsadern und damit auch abseits der Trampelpfade des Tourismus:
Unverbaute, märchenhafte Talgründe. Tausend Jahre alte Kapellen mit Fresken, auf denen erstmals in der europäischen Malerei die Dolomiten naturgetreu dargestellt sind. Verwitterte Bauernhöfe aus dem Mittelalter in schwindel erregender Höhe, die nur nach beschwerlichem Fußmarsch zu erreichen sind. Unscheinbare Dorfkirchen, an denen man achtlos vorbeigeht, weil nichts darauf hinweist, dass drinnen die prächtigsten Flügelaltäre der Gotik stehen. Gezeigt werden auch einsame Berghöfe, wo die Tiroler gar nicht so "lustig und froh" leben, wie es in dem bekannten Liedchen heißt.
Gezeigt wird vor allem eine Landschaft, die immer brutaler zerfressen wird durch Straßenbau und neue Liftanlagen für den Skizirkus. Gezeigt werden einst idyllische Dörfer, die heute von klotzigen Stahlbeton-Zweckbauten rücksichtslos und endgültig verschandelt sind. So entstehen mitten in den Alpen Alpträume von zersiedelten, asphaltzerschnittenen Fluren und genormten Bungalow-Hängen. Es scheint, dass man in Südtirol jetzt die gleichen Fehler machen will und eilfertig zweifelhafte Fortschrittprojekte vorantreibt, wie man sie schon lange von Österreich oder Deutschland kennt, dort aber teilweise schon gestoppt hat.
Diesen programmierten Ruin der Kulturlandschaft Südtirol beweist vor allem der jüngst veröffentlichte Plan einer vierspurigen Autobahn zwischen Bozen und Meran.
Weitere Signale für den Verlust tief verwurzelter Eigenart und für das Ende eine halbwegs paradiesischen Zustandes: Deutsche Baufirmen schlachten abgelegene stille Bergtäler nach Marmor aus; ohne sich um den Landschaftsschutz zu kümmern. Seit drei Jahren überschlagen sich die Meldungen von spektakulären Kunstdiebstählen in Kirchen und Kapellen. Die Gastronomie, bislang eine originelle Mischung von altösterreichischer und italienischer Küche, passt sich immer einfallsloser dem Standardgeschmack eiliger Bustouristen aus dem Norden an. Viele Hotels und Restaurants preisen "Kaffee nach deutscher Art" als höchsten Genuss an.
Der Film macht nicht nur die Blessuren sichtbar, die das alte Kulturland inzwischen verunstalten, er weist auch auf die Hauptursache hin: den Massentourismus. Ein Massentourismus derer, die ihre eigene Umwelt im Wachstumswahn gründlich verpfuscht haben und nun die des Gastlandes ungestüm konsumieren. Gemeint sind vor allem die Touristen aus der "Denmartkei", wie man dort unten spöttisch-respektvoll sagt.
Wen dem nicht bald und rigoros Einhalt geboten wird, dann ist, bei aller Liebe zu diesem Land, demnächst keine warnende Zwischenbilanz mehr nötig. Höchstens ein Nachruf fällig - der Nachruf auf ein Paradies.
Aus dem Pressetext von 1979
Quelle: [URL=http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/6…8899448,00.html]ZDF[/URL]
Danke an Onkelscholle
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