" ... Lieber Martin Nieswandt,
ich habe Ihre Petition gerne unterschrieben. Nicht etwa, weil ich sie richtig finde. Im Gegenteil: Sie zeigt, dass Sie sich nie wirklich mit der Band befasst und Ihre Meinung auf der Basis "vorverurteilenden Lesens", wie Diedrich Diederichsen es mal nannte, gefasst haben: Wenn ich der Meinung bin, eine Band sei "rechts", finde ich auch die Belege dafür. Das funktioniert bei den Toten Hosen genauso wie bei Frei.Wild. Nur dass Letztere es solchen Vor-Urteilen einfacher macht, weil sie eben keine klassisch "linke" Band sind, sondern eben konservative Südtiroler. Regionalpatrioten - aber eben keine "Nationalisten" (wie auch: Südtirol ist ja nicht einmal eine "Nation"). Ihre "Heimatliebe" ist nicht "rechtsextrem" und nicht ausgrenzend. Zu Ihrem Aufruf:
"Völkische Ideologie und Nationalismus" verbreitet Frei.Wild - wegen dieser Analyse wurde der grüne Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler sogar von einem Anhänger der Rechts-Rocker tätlich angegriffen.
Als in NRW ein politisch engagierter Lehrer seine Schülerin und Ex-Geliebte aus Eifersucht tötete, kam auch niemand auf die Idee, alle Lehrer oder "die Linken" als Mörder und Missbrauchstäter zu bezeichnen. So gibt es natürlich auch Idioten unter Frei.Wild-Fans - ebenso intelligente, sozial denkende und engagierte Menschen, sogar Lehrer und organisierte Linke. Ich habe 2014 für eine Studie mehr als 4.000 Frei.Wild-Fans befragt … glauben Sie mir, das Ergebnis würde Sie überraschen, wenn Sie bereit sind, ihnen widerstrebende Informationen zur Kenntnis zu nehmen.
Als Band hat man wenig Einfluss darauf, welche Fans man hat. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: 1. Eine ordentliche Security, die "Rechte" gar nicht erst ins Konzert lässt. Die hat Frei.Wild. 2. Klare Statements. Auch die hat Frei.Wild. Aber man muss auch bereit sein, sie zu hören. Obwohl: 12.000 Fans, die bei einem Konzert gemeinsam mit der Band "Nazis raus" rufen, ist eigentlich laut genug, oder? T-Shirts mit Aussagen "Gegen Rassismus und Extremismus" ebenso. Oder was ist an Philipp Burgers Interviewstatement zweideutig: "Wir hassen Rassismus und hegen keinerlei Sympathien für Neonazis und andere Rechtsextreme. Wir sind entsetzt, wenn wir gerade in diesen Wochen wieder hören und lesen müssen, dass in Deutschland Durchgeknallte Häuser anzünden, in denen Flüchtlinge leben sollen oder sogar schon Flüchtlingsfamilien mit Kindern leben. Wenn wir etwas aus der Geschichte Südtirols gelernt haben, dann dies: Nie wieder Faschismus!"
Deren Rezept: Nationalistisch-völkische Klischeebilder zu bedienen, über islamfeindliche Abschottungsphantasien zu singen - und gleichzeitig zu behaupten, das alles sei unpolitisch.
Es gibt keine einzige Songtextzeile bei Frei.Wild, die "islamfeindliche Abschottungsphantasien" beinhaltet. In dem immer wieder zitierten Song kritisieren Frei.Wild lediglich, dass christliche Kreuze aus den Schulklassen entfernt werden sollen aus Respekt vor Andersgläubigen. Die bayerische Landesregierung hat dies sogar juristisch durchzukämpfen versucht. Christlich-konservativ? Sicher, und damit nicht meine Haltung. (Ich persönlich bin ja der Meinung, sämtliche religiösen Zeichen sollten aus den Schulen verschwinden.) Aber "rechtsextrem" oder eine "islamfeindliche Abschottungsphantasie" - nein.
Eine Vielzahl von Künstlern protestiert seit langem gegen die gefährliche Melange aus rechten Parolen und eingängigen Rhythmen.
Meiner Beobachtung nach ist die "Vielzahl" gar nicht so groß. Und einige, die ich für mein Buch über "Frei.Wild. Südtirols konservative Antifaschisten" interviewt habe, hatten sich nie mit Frei.Wild wirklich beschäftigt, keinen einzigen der kritisierten Songs selbst gehört. Auf der anderen Seite: Peter Maffay, der Veranstalter Marek Lieberberg, Doro, Unheilig und einige andere sowie eine ganze Reihe weniger bekannter Punkbands haben sich positiv zu Frei.Wild geäußert und sind mit ihnen aufgetreten.
Auch Sie können sich ihre "Fans" nicht aussuchen, aber schon bei dieser Petition zeigt sich die "Informiertheit" mancher Unterzeichner. Da wird Frei.Wild schnell zur Neonazi-Band ("Kein Platz für Faschisten"), deren Gedankengut schon mal zwei Weltkriege verursacht hat ("ich unterschreibe, weil ich weiß, das dadurch Kriege entstehen können, das hatten wir doch schon alles 2x"). Und weil sie "Nazis" sind, gilt für sie auch das Grundgesetz nicht mehr (" … Nazis keine Chance haben dürfen und Meinungsfreiheit endet wo die Demokratie in Gefahr ist").
In der weltoffenen Stadt Hamburg darf rechtem Gedankengut keine Bühne geboten werden! Wir fordern von der 02-World ein klares Zeichen zu setzen und das Frei.Wild-Konzert am 23. April 2015 abzusagen.
Ich bin schon sehr gespannt auf Ihre nächsten Petitionen: Heino, Andreas Gabalier, die Kastelruther Spatzen, Bushido, Kiss, KrawallBrüder … sie alle werden für 2015 in Hamburg auftreten. Da gibt es also noch viel zu verbieten.
"Ich unterschreibe, weil ich das gruselig finde" scheibt einer Ihrer Unterzeichner. Nichts für ungut: In einer Gesellschaft, in der alles verboten gehört, was irgendjemand "gruselig" findet, möchte ich ungern leben. Demokratie geht anders. Antifaschismus übrigens auch. ... "