Hier noch einer vom 22/24.4.
Frei.Wild auf Erfolgskurs
Wir gegen euch
Das neue Album „Opposition“ der Band Frei.Wild ist hochwertig produzierter Rock. Deutsche Texte in einfacher Reimform, harte Riffs, Burgers durchdringende Stimme, ohne ins Hardcore-Gebrüll abzudriften, auch mal eine Ballade. Der Südtiroler Band wird immer wieder Nähe zum Rechtsextremismus nachgesagt.
Es gibt Musiker, die haben eine Botschaft. „Ein bisschen Frieden“ oder „Macht kaputt, was euch kaputt macht“. Wer seine Single „Leckt uns am Arsch Rock ’n’ Opposition“ nennt, der will offensichtlich auch etwas sagen. Die Frage ist, wie bei den anderen Beispielen: Was?
Die Südtiroler Band Frei.Wild ist mit dem Album „Opposition“ auf Platz eins der Charts eingestiegen. Am 25. April spielt die Band in Hannover vor mehreren Tausend Fans in der lange ausverkauften Swiss-Life-Hall. Doch überall, wo die Band auftaucht, gibt es nicht nur Fans, sondern auch Kritik. Beim bislang letzten Konzert in Hannover protestierten 300 Menschen gegen Band und Fans. Auf Druck von Sponsoren, anderen Bands und deren Fans sagte Frei.Wild eine Autogrammstunde und Auftritte bei Festivals ab. Auch bei der aktuellen Tour gibt es Boykottaufrufe.
Das Quartett um Sänger Philipp Burger, 2001 in Brixen gegründet, hat die Lücke gefüllt, die die ähnlich umstrittenen Böhsen Onkelz durch ihre zwischenzeitliche Auflösung hinterlassen hatten. Höhepunkt der Kritik: Die Streichung von Frei.Wild von der Nominierten-Liste beim Echo 2013.
Burger sang früher bei der Band Kaiserjäger rechtsextreme Texte. „Ja, ich hatte diese Zeit, in der ich dieses rechtsextremistische Gedankengut in mir hatte“, sagt Burger heute. Das habe sich aber „mit der Pubertät aufgelöst“. Später engagierte er, der doch eigentlich unpolitisch sein will, sich beim Südtiroler Ableger der Österreichischen Partei „Die Freiheitlichen“ – und distanziert sich auf Druck von Fans und Management. Aussagen, Distanzierungen, Aktion, Reaktion – das zieht sich durch die Geschichte der Band.
Der Journalist Thomas Kuban hat das Vorgängeralbum der Band als „Rechtsrock“ bezeichnet und auch als „Identitätsrock“, bei dem sich Anhänger rechtsextremer Ideen versammeln können. Andere, darunter Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs von der Universität Mainz, sagen der Band einen latent völkischen Nationalismus nach. Auch Gewaltverherrlichung ist immer wieder ein Vorwurf – auch wenn bislang kein Album als jugendgefährdend eingestuft und verboten wurde.
Manche ordnen Frei.Wild einer „Grauzone“ zu. Bernd Wagner, der die Neonazi-Aussteigerorganisation Exit gegründet hat, führte den Begriff 1994 in seinem „Handbuch Rechtsextremismus“ ein. Er soll hier den Übergang zwischen harmlosem Deutschrock und offen rechtsextremen Bands bezeichnen, etwa aus der sogenannten Blood&Honour-Bewegung. Musik als verbindendes Element, Deutschrock als Einstiegsdroge.
Wagner nennt den Begriff mittlerweile unpassend. Für Klaus Farin ist das „klassische Denunziantensprache“. Der Begriff Grauzone versammle alles, was man nicht mit Belegen eindeutig zuordnen könne. Farin veröffentlicht Ende April das Buch „Frei.Wild – Südtirols konservative Antifaschisten“. Der Gründer des Archivs der Jugendkulturen hat sich zwei Jahre lang mit Band und Fans beschäftigt, und dabei auch mehr als 4000 Fanfragebögen ausgewertet. Ein Fazit: Frei.Wild hat rechte Fans, auch rechtsextreme Fans. Er selbst könne mit dem Heimatbegriff der Band, dem Pathos, der Gleichbehandlung von linkem und rechtem Extremismus überhaupt nichts anfangen. Farin will nicht verharmlosen, weist aber darauf hin, dass in manchen Studien bis zu einem Drittel der Gesellschaft offen für rechte Aussagen sei. Farin hält die Abschwörungen der Band, auch die Korrekturen von früheren Aussagen für ehrlich und glaubhaft. Man dürfe die Band und deren Fans nicht verdammen, solle sich vielmehr mit ihnen beschäftigen.
Das neue Album „Opposition“ ist hochwertig produzierter Rock. Deutsche Texte in einfacher Reimform, harte Riffs, Burgers durchdringende Stimme, ohne ins Hardcore-Gebrüll abzudriften, auch mal eine Ballade. Es geht um Hass, Gewalt, Liebe, ein „Wir gegen euch“, Ehrlichkeit, und auch Wut. An einer Stelle geht es auch gegen „Nazispasten“, die nur ihren Hass hätten.
Philipp Burger scherzt, wenn er Frei.Wild die „Stromgitarren-Antwort auf die Kastelruther Spatzen“ nennt. Es sei Musik von „bodenständigen Jungs, denen Familie wichtig ist, Natur und Sport viel bedeutet und die gerne mit anderen zusammen ein Bier trinken“. Bei Frei.Wild hat die Heimatfrage eine besondere Komponente. „Wir sind keine Deutschen! Wir sind Südtiroler!“, sagte Burger einmal mit Blick auf die heute teilautonome Region, die seit 1919 zu Italien gehört.
Viele Fans sind genervt von den ständigen Extremismuslossagungen der Band. „Manchmal wünschten wir uns sehnlichst, es wäre anders“, sagt etwa Vanessa Günther, die für den Fanclub arbeitet. Und die Band: „Unser größter Wunsch wäre, einfach Musiker sein zu dürfen“, sagt Burger.
Burger sieht seine Songs als ernsthafte Diskursbeiträge und nicht nur als Kunst. Wer dabei Deutschland als größten Markt hat, der muss sich eben Vorwürfe anhören, wenn er mit Worten wie Geschichte, Schuld, Gutmenschen und Moralaposteln jongliert. Der Hinweis, man sei ja eigentlich aus Südtirol, der mag für die Kastelruther Spatzen gelten, nicht aber für diese Band. Burger, das muss man ihm zugutehalten, reagiert auf Kritik. Ob das an jeder Stelle ernsthaftes Interesse am Austausch ist oder Beschwichtigung, um nicht den Mietvertrag einer großen Halle zu verlieren – das ist nicht zu beantworten.
Die Band jedenfalls profitiert vom Wirbel. Die Zahl der Fans, der verkauften Alben, Konzertkarten und der T-Shirt-Verkäufe – sie steigt ständig. In einer Welt, in der man sich nicht mehr durch eine Pilzkopffrisur von den Eltern abgrenzen kann, bietet Frei.Wild eine Heimat, die polarisiert. Punks haben sich als Randfiguren der Gesellschaft definiert. Frei.Wild – und auch die Anhängerschaft – sieht sich mitten in der Gesellschaft, und doch manchmal in die Ecke gedrängt. Wir gegen euch.
Burger, der doch eigentlich nur Musiker sein will, sagt, dass die Band mit „Opposition“ bewusst keinen braven Titel gewählt hat. „Wir wollen, dass man sich mit uns auseinandersetzt und dass man herhört.“ Er wird sich bei der gerade laufenden Tour wieder einiges anhören dürfen.
Das Konzert am 25. April in der Swiss-Life-Hall in Hannover ist ausverkauft.
Von Gerd Schild
Quelle : Wolfsburger Allgemeine